Sonderpostmarke 100 Jahre Vorarlberger Stickereiindustrie

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Vorarlberger Stickereiindustrie hat die Österreichische Post 1968 die Sonderpostmarke „100 Jahre Vorarlberg Stickereiindustrie“ aufgelegt. Im Begleittext zur Sonderpostmarke zeichnete der ehemalige Direktor der Bundestextilschule Prof. Franz Gebhard Winsauer ein sehr detailliertes Bild über das ständige Auf und Ab in der Stickereiwirtschaft beginnend mit dem Jahr 1763, als eine St. Galler Sticklehrerin in den Bregenzer Wald kam, um den Mädchen dort das Sticken zu lehren.

Im 18. Jahrhundert wurde damit begonnen, anstatt der Leinenstoffe feine Baumwollstoffe zu besticken. Diese bestickten Stoffe fanden vor allem in Frankreich großen Anklang. Die Ostschweiz rund um St. Gallen galt damals schon als Stickereizentrum. Die Arbeitskräfte dort genügten aber bald nicht mehr, um die Nachfrage nach bestickten Baumwollstoffen in Frankreich zu befriedigen. Deshalb ließen ab Mitte des 18. Jahrhunderts St. Galler Kaufleute ihre Baumwolle auch in Vorarlberg von bald Tausenden Heimarbeiterinnen im Bregenzerwald und im Rheintal von Hand besticken. Um 1790 haben in der Ostschweiz und in Vorarlberg bis zu 40.000 Stickerinnen für St. Galler Kaufleute gestickt.

Der Beginn der industriellen Stickerei fällt aber mit der Inbetriebnahme der ersten Handstickmaschine in Vorarlberg auf das Jahr 1869 (einige Quellen sprechen auch vom Jahr 1868). Jedenfalls wurden die ersten beiden Handstickmaschinen von den „Höfern“ im Lustenauer Hause „Im Winkel“ heute Kapellenstraße 7 in Betrieb genommen. Zur selben Zeit waren in der Ostschweiz aber bereits rund 3000 Handstickmaschinen in Betrieb. Bis zum ersten Weltkrieg waren in 66 Vorarlberger Gemeinden rund 3600 Handstick- und 1400 Schifflistickmaschinen im Einsatz. Die Handstickmaschine arbeitet mit 312 Nadeln und ersetzt ca. 40 Stickerinnen. Die massive Kapazitätserweiterung durch die Einführung der Handstickmaschine hatte eine weltweite Überproduktion zur Folge was ab 1883 zu einer Phase der ökonomischen Depression führte. Als die Docks in London die Stickereimassen nicht mehr aufnehmen konnten fielen die Stichpreise in den Keller.

Als Antwort auf die wirtschaftliche Depression Mitte der 1880er-Jahre organisierten sich die Schweizer und die Vorarlberger Sticker und versuchten sich gemeinsam durch Lohn- und Preisabsprachen aus der Krise zu lavieren. Dabei entstand eines der ersten internationalen Wirtschaftskartelle.
1885 wurde zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse auf Betreiben der St. Galler Exporteure der "Zentralverbandes der Ostschweiz und des Vorarlbergs“ gegründet
Unter anderem einigten sich die Mitglieder auf:
• Einhaltung eines Mindeststichlohns von 33 cts/100 Stiche. Den Vorarlbergern wurde gestattet, einen Rappen unter diesem Tarif zu sticken.
• Beschränkung der Arbeitszeit in Vorarlberg auf elf Stunden nach Schweizer Vorbild.
• Leistung einer Einmalabgabe in Höhe von 200 Schweizer Franken an den Verband als Indikation gegen das "Maschinenfieber".

Obwohl sich der Zentralverband bereits 1893 wieder auflöste, sollten die Hauptpunkte dieses solidarischen Krisenmanagements 40 Jahre später durch Kundmachung des Vorarlberger Stickerei-Krisenfonds als Landesgesetz 1933 wieder aktuell werden. 1956 wurde dann im Österreichischen Nationalrat mit Stimmen aller Parteien das Stickereiförderungsgesetz beschlossen welches erst nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft im Jahre 2000 aufgehoben wurde.

2019 feiert die Vorarlberger Stickereiwirtschaft ihr 150jähriges Jubiläum mit zahlreichen Veranstaltung zum Thema. Weitere Informationen unter www.sticker.at

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